Paula war nicht auf das Konzert ihres Lieblingssängers REA GARVEY gefahren. Heute ging es ihr nicht gut und am frühen Morgen aufzustehen, um den Tag in Dortmund oder Köln zu verweilen, da war ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht danach gewesen. Für ihren Bedarf - im Rollstuhl querschnittsgelähmt zu sitzen - , war die Location auch nicht barrierefrei genug. Es gab keinen Aufzug, keine Parkplätze und es fehlte an geeigneten Toiletten. Normalerweise konnte Paula diese Hindernisse immer noch spielend überwinden. Nur heute nicht.
Raphael war mit seinem frühen Termin im Arbeitsstress und der Verkehr auf der Strecke ließ nichts Gutes erwarten. Die Tage davor waren mit Aktivität ausgefüllt und die danach würden es auch sein. Am Tag zuvor gab es für beide eine Impfung für eine größere Auslandreise.
Während Paula am Ausruhen war, kam der Postbote mit einer Sendung. Darin enthalten war ein kleiner Ausstellungskatalog mit etwa dreissig Seiten. Und ja, er war wie eine Offenbarung. Ein Geschenk wie ein Konzert. Laut und leise wie Musik sprechen die Bilder zu einem. Und dann der Text ...
Kunst ist Lernerfahrung, eine intellektuelle Reise, die uns gelegentlich verstehen lässt, wie klein und miteinander verbunden unsere Lebenswelten - aber auch die Welt als Ganzes - sind.
Kunst und Kultur prägen die menschliche Gemeinschaft und unterstützen dabei neue Perspektiven und Optionen, um sinnstiftende und nachhaltige Lebensformen zu eröffnen. In diesem Sinne möchten die Kunstprojekte am KulturOrt Wintringer Kapelle zukunftsweisende Bilder einspielen die den öffentlichen Diskurs mitgestalten und Impulse für neue Narrative setzen.
Da liegt Paula also richtig. Es ist gewünscht, dass man über diesen Katalog und das Ereignis am Wintringer Hof in der Kapelle spricht. Sie hat erst den Anfang im Katalog gelesen und dann weitergeblättert. Den Schluss nochmal genauer betrachtet.
Da ist die Geschichte der Wintringer Kapelle mit ihren frühen Figuren. Eine Madonna mit Kind um 1480, bekannt als Wintringer Madonna, die heute im Saarlandmuseum zu sehen ist.
Die kleine Ausstellung ist famous. Frei gründend auf Gedichten von Rainer Maria Rilke hier beispielsweise das Ex voto - Gedicht, einer Novelle des israelischen Schriftstellers Ja'akov Shabtai oder nach Elias Canetti's "Der Ohrenzeuge" sind moderne, nachdenkliche Motive entstanden, die somit hervorragend in die vorhandene Ausstattung passen. Ein rotes Quadrat wird neben den Bogen einer vermauerten Tür gesetzt "um den Nahraum zwischen Liebe und Schmerz" zu thematisieren. Denn für die Malerin VERA Loos gehört der Schmerz zum Wesen der Liebe und muss riskiert werden.
Erst dadurch ist es möglich, sich zu öffnen und zu wahrer Liebe gegenüber den Menschen, der Natur und wohl auch dem Göttlichen überhaupt fähig zu werden.
Katalogauszug S.12 siehe oben, auf Paulas Tisch fotographiert, der noch vom Geburtstag geschmückt war. Die Rosen hatte Raphael ihr geschenkt.
Gleich beginnt das Konzert von REA in Köln. Paulas Arme tun von der Impfung etwas weh. "Love is a good kind of pain" würde REA am Schluß von "Perfect in my Eyes" singen. Und da ist es wieder: die Einbettung des Kleinen in größere Zusammenhänge und Bedeutungen. Wir alleine sind wenig, und zusammen werden wir mehr als das GANZE. So ist es einfach. Paula hat den Katalog in die Hand genommen und einen weiteren größeren Überbau darin erkannt. Und so geht das Zepter oder der Schlüssel weiter von Hand zu Hand und Gedanke zu Gedanke.
Der Gedanke des Guten natürlich. Wenn auch die gemalten Menschen von VERA Loos meist alleine und etwas verloren da stehen. Im größeren Zusammenhang passen sie sich sogar an oder umgekehrt wie hier auf den beiden Fotos.
REA auf der Bühne ist in rot getaucht soviel Paula über Instagram Live-Video sehen konnte. Irgendwie ist seine Gitarre nicht in Ordnung. "Wir dürfen nicht vergessen zu lachen, zu feiern, zu lieben und glücklich zu sein." REA hat klare Botschaften.
Wow, das sind große Worte. Na ja sie stehen ja "nur" in einem Katalog. Es geht nur um eine kleine Kapelle. Nur um ein paar Votivtafeln. Ein paar Gemälde. Aber das ist es ja nicht. Es ist der größere, absolute Zusammenhang und die Wirkung.
Raphaels Wagen rollt am späten Abend an. Es ist Zeit aufzuhören, nachzudenken. Und Kunst zu schauen oder Musik zu hören. Es ist nun - wie das Credo von VERA im Katalog - Zeit, "das Herz zu schenken." Denn "Jetzt ist die Zeit."
Danke, VERA.
Danke, REA.
Danke für das Herz, ANGELE.
Danke, RAPHAEL.
Für diesen besonderen Abend.
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