Yesterday was heavy.
Put it down.
(Instagramspruch
3.12.2024)
Eine Honigkuchenweihnachtsgeschichte 2024
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Marina wartete auf Sonita. "Die Busse fahren nicht", schrieb die junge Frau. Heute war Montag und das Haus bedurfte einer Reinigung. Sonita hatte sich angekündigt. Mittlerweile war die querschnittsgelähmte Frau gut organisiert und nicht mehr völlig hilflos, wenn Hilfen und Assistenz nicht kamen.
"Wie wird es werden?", Marina schaute den ersten leisen Schneeflocken draußen zu. Sie saß an ihrem Küchentisch und las. "Wenn ich mal gar keine Kraft mehr haben werde?". Ihre Schmerzen waren ärger geworden. Vor allem in den Waden. Offene Fenster und Türen schafften bei mangelnder Bewegung Pein trotz Schmerzmittel.
Heute war sie gut mit Medikamenten eingestellt. Gegen 10 Uhr hatte die Frau mit Behinderung geduscht und sich schick zurecht gemacht, es würde ein guter Tag werden. Das spürte sie. Für einen ihrer Liebsten brauchte sie noch ein Geburtstagsgeschenk.
"Ich mach dir einen Vorschlag". Sonita hörte am Telefon zu. "Ich komm dich abholen und dann fahren wir einkaufen. Dann haben wir wenigstens noch etwas Produktives geleistet." Mit Sonita war Marina noch nie in einer Shopping Mall. "Nicht in die Stadt. Da ist es für mich zu kalt" In der Shoppingmall war alles an Ort und Stelle und Marina kannte sich aus.
Marina fuhr in die Stadt und holte Sonita von ihrem Zuhause ab. Sonita war einverstanden. Wie sie Marina kannte, würde sie heute auch nicht leerausgehen. Schließlich machte sie im Haushalt normalerweise Verhinderungspflege. Heute war auch für sie Neuland. Sie war wie immer schick gekleidet. In ihren jungen Jahren legte sie viel Wert auf ihr Äußeres und überraschte die Carpentiers öfters auch im Winter mit bauchfreien Oberteilen, neu geflochtenen Haaren mit Perlenschmuck, schicken Schuhen und Handtaschen. Sonita konnte gut wirtschaften. Ansonsten studierte sie im dualen Studium im benachbarten Frankreich und in Saarbrücken.
Es war schon fast dunkel, als sie die Mall erreichten. Sonita hob den Rollstuhl aus dem Kofferraum und Marina klappte ihn an der Fahrertür auf und setzte sich. "Willst Du noch den Korb von hinten?" "Wir nehmen meine große Handtasche und zwei der dünnen Stofftaschen. Das wird reichen." Marina schaute auf die Uhr.
Zuerst in die Buchhandlung. Marina hielt Ausschau nach Reiseführern. Nach Japan sollte ihre Reise im nächsten Sommer hingehen. Dann in die Parfümerie. Der Gutschein von 30 %", der aktuell noch gültig war, sollte sich lohnen. Hatte sie doch auf einen Deal am Flughafen auf einer ihrer Reisen in diesem Jahr auf Parfüm verzichtet. Sie brauchte es nicht unbedingt, es war gar nicht so leicht zu transportieren, teuer und es gab keinen Geschenkanlass. In ihrer Shoppingmall griff sie zu und ließ weihnachtliches Papier drum herumpacken. Lippenstift und Duftkerze gabs inklusive. Im Brillengeschäft wurde man nicht fündig.
"Willst Du einen Tee trinken oder lieber weitershoppen?", fragte Marina mit Blick auf das Eiscafe. Am Tisch war Sonita etwas wählerisch. So kannte Marina sie, wenn sie denn mal gemeinsam auswärts essen waren. So war es immer gewesen. "Wie heißt das Ding mit Creme und drunter einer Schicht Teig?" fragte Sonita sie. "Du meinst Tiramisu" "Ja, das." Marina nippte längst an ihrem Kräutertee. Der Kellner kam wieder. "Sie hat sich entschieden..." leitete Marina die Bestellung ein. "Rigatoni", kam es wie aus der Pistole geschossen. Lachen verbreitete sich am Tisch. Sonita hatte da was verwechselt. Und sie hatte einen unverwechselbaren Charme dazu. Okay also doch lieber echtes Tiramisu mit einem Erdbeershake. Zeit für Gespräche, fürs Innehalten beinahe am Ende des Jahres. Sonita war für ihr Alter unheimlich intelligent und lebenserfahren. Sie machte manchmal Vorschläge, weil sie mitdachte. Bei Marina lernte sie auch mal, einstecken, wenn sie nicht führen konnte. Irgendwann stellten sie Gemeinsamkeiten fest. Im chinesischen Horoskop waren beide Drachen. Ein starkes Zeichen.
Schnell noch Frischwaren im Supermarkt und einen kleinen Weihnachtsstern im Blumengeschäft ergattern. Sonita hatte mittlerweile den Autoschlüssel gar nicht mehr an Marina zurückgegeben, so oft lief sie ans Auto um Abzuladen. "Wir treffen uns am Drogeriemarkt" Das war zwanzig Minuten vor Schluß die letzte Station. Die Mall schloß 20.00 Uhr.
Marina fuhr schon in den Laden und suchte sich ihren Lieblingsjoghurt aus. Es waren noch ein paar Becher auf der Palette, die sie rauszog und auf ihren Schoß stellte. Immer wieder sah sie zum Eingang. Sie wollte Sonita nicht verpassen. Sie harmonierten unendlich gut beim Einkaufen. Da war kein Zuviel und kein Zuwenig, nachdem Marina länger nicht mehr selbst beim Shoppen gewesen war. Und das war ja auch wichtig. Gute Einkaufserlebnisse waren besondere Momente.
"Ich muss Vitamine kaufen...""'Alles was geht,' hat mir die Ärztin gesagt, nachdem sie Ergebnisse meines großes Blutbilds gesehen hat."; erklärte Marina im Gang mit Blick auf unzählige kleine Verpackungen. Endlich war mal etwas Zeit dafür. Was nehmen? Manches waren Kombipackungen und die Vitamine in mehreren Packungen enthalten. Man brauchte etwas Zeit, auch wenn Marina schon schnell war beim Entscheiden. Sonita, die keine Tasche mehr frei hatte, nahm alles in die Hände, auch den Joghurt, damit Marina frei war zu gucken, zu überlegen und die Packung im Vitaminregal in die Hand zu nehmen. Entschieden war entschieden. "Ich brauch noch Bilderrahmen und Zahnpasta." Kurz vor acht. Marina beeilte sich bei der Auswahl. Bilderrahmen mit schönen Bildern kamen bei Älteren immer gut an. Sonita nahm sie ihr ab.
Und dann passierte es, als sich Marina über die Zahnpasta beugte und gerade bemerkte, dass eine ihrer Zahnpastatuben von öko-test mit "sehr gut" bewertet worden war. Sie wollte hocherfreut vergleichen.
"Nehmen Sie doch meinen Einkaufskorb". Der fremde Mann im Gang räumte seine drei Artikel aus dem Korb und wollte ihn Sonita reichen. "Ich hol mir einen anderen." Er hatte gesehen, wie beladen Sonita mittlerweile war. Oder was hatte er gesehen? Marina war es entgangen gewesen. War sie doch froh, dass die Zahnpasta unterhalb ihrer Augenhöhe sitzend im Rollstuhl war und sie gut greifen konnte. Außerdem beeilte sie sich.
Der fein und kultiviert aussehende Mann mittleren Alters überreichte Sonita seinen Korb. Das war ja mal aufmerksam. Sonita befüllte den Korb, während Marina ihn auf ihren Schoß zog. "Du kannst ihn doch nicht tragen..." "Doch ich zeig Dir wie das geht." Sie klemmte ihre kleine Umhängetasche innen in den Korb zwischen Korbwand und den gewünschten Artikeln. Siehste, es passt. Sie hatte nicht vor gehabt, so viel zu kaufen, aber mit Sonita war es wirklich einfach und sie konnte ja schon sich so schneller auf Weihnachten vorbereiten, in dem sie Geschenkkäufe vorzog wie diese Bilderrahmen.
"Warum bin ich nicht selbst drauf gekommen?" Der Korb war echt gut auf ihrem Schoß zu händeln. Aber irgendwie hatte sie das in der Eile vergessen. Und so musste der Mann kommen, und ihnen helfen. Es war nicht nur eine freundliche Geste. Es war mehr als das. Aber hatte Marina das gesehen, bevor sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Sonita beinahe wie ein Packesel beladen war?
Sonita war für ihr junges Alter schon eine stolze Frau. Die Carpentiers mochten sie und konnten ihr für ihr Studium den ein oder anderen Rat geben,. Sie hatte ihr eigentliches Zuhause in Kamerun zurückgelassen, um diesseits und jenseits der Grenze zu studieren. Und Sonita schätzte den Familienanschluß bei den Carpentiers. Manchmal aß sie mit wenn sie da war, oder sie hatte den alten Mann sehr geschätzt, der bei Marina und Daniel gewohnt hatte und Anfang des Jahres ohne größeres Leiden heimgegangen war.
"Ich vermisse ihn. Er hat immer den Müll getrennt, wenn ich was falsch einsortiert habe." Und noch andere Heimlichkeiten waren ihr nicht fremdgeblieben.
Vielleicht würde es einer der ersten Begegnungen mit dem afrikanischen Kontinent sein, wo Marina nicht als echte Ersatzmama galt. Das war bei Sonitas Vorgängerinnen oder Austauschschülern oft der Fall gewesen. "Ich bin nicht Deine Ma", hatte sie - auch in Hinblick auf ihr eigenes Kind - einmal deutlich gesagt, Mochte das hart und etwas unverständlich auf der anderen Seite des Mittelmeers angekommen sein, aber es war ihr wichtig gewesen.
Und dann griff Marina zu ihrem Gästebuch und fand liebevolle Worte darin.
"Mein Name ist Murielle, ich bin 20 Jahre alt und komme aus Kamerun. Es macht schon zwei Jahre, dass ich bei der Familie Carpentier arbeite. Diese zwei Jahre waren nur Jahre mit Liebe, Freude und Glück.
Ohne mich zu kennen, hat sie mir die Tür ihres Hauses geöffnet und hat mir vertraut. Ich habe mich nie wie eine Putzfrau gefühlt, aber wie zu Hause mit meiner Mutter.
Ich muss gehen, weil ich ein Austauschprogramm mache und muss nach Metz umziehen. Ich hoffe, dass ich noch hier arbeiten kann, wenn ich zurückkomme.
Danke für alles Mme Capentiers, für deine Liebe, dein Vertrauen, dein Verständnis und Geduld.
Ich werde ihnen nie vergessen, weil man seine Familie nicht vergisst und sie werden immer einen Platz in meinem Herzen haben.
Ich liebe Euch. Murielle."
Der Mann im Drogeriemarkt begegnete Sonita und Marina noch mal. Er sah den Korb auf Marinas Schoß. Er war sehr hilfsbereit gewesen. Er sagte: "Hätte mir genauso gehen können..." Er war wirklich gebildet und schien in seinem blauen Wollmantel ganz gut situiert. Aber was genau hatte er gesehen, als er der Kamerunerin und der Rollstuhlfahrerin seinen Korb anbot? Es würde sein Geheimnis bleiben.
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