19.Januar 2013 in der Saarbrücker Zeitung: ...De Gaulle erklärte später, "Verträge seien wie Rosen und junge Mädchen: Sie halten, so lange sie sich halten" Bis er sich korrigierte:"Manchmal entstehe auch ein dauerhafter Rosengarten."
22.Januar 2013. Eine Karte von meiner französischen Freundin Fleurance. Merci, chérie!
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Eine Geschichte, neu wiederbelebt durch Andrea Nahles, die sich 2019 an ihre Autofahrt über die deutsch-französische Grenze erinnert.
Als die Grenzen in Europa fielen, fuhr ich am selben Tag mit meinem klapprigen Ford Fiesta nach Frankreich. Großartiges Gefühl! Die -Freundschaft ist das Fundament eines vereinten Europas. Ich bin dankbar, dass wir zusammen weitergehen! #EuropaistdieAntwort #AachenerVertrag via Twitter
@andreanahlesspd, 22.Januar 2019
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Eine Honigkuchengeschichte für große Kinder
anlässlich des Jubiläums des Elyséevertrags
zwischen Frankreich und Deutschland von 1963
ZUSAMMENFASSUNG:
Marina fährt mit ihrer Babytochter Oceane im Cabriolet ihres Mannes Daniel nach Paris. Was denkt und erlebt sie auf der Fahrt am Tag des vierzigjährigen Jubiläums des Freundschaftsvertrages zwischen Deutschen und Franzosen? Eine Geschichte übers Autofahren und Frauen...
Notre traité n’est pas une rose,
il n’est même pas un rosier,
il est une roseraie.
Unser Vertrag ist keine Rose,
Unser Vertrag ist keine Rose,
er ist nicht
einmal ein Rosenstrauch,
er ist ein Rosengarten.
Charles de Gaulle
Paris, 23.Januar 2003
Marina wollte die Gelegenheit nutzen
und ihren Mann nach Paris begleiten. Ihr Mann, der wieder viel beruflich
unterwegs sein musste, war froh, dass seine kleine Familie so unkompliziert war,
und er sie mitnehmen konnte. Dieses Mal war er Aussteller auf einem großen
französischen Kongress seiner Branche. Er war viel mit den Vorbereitungen
beschäftigt, und so hatten sie sich die Abende zuvor kaum gesehen.
„Du
nimmst das Auto und fährst nach Paris. Ich habe unser Hotel für zwei Nächte
reserviert und wir treffen uns dort.“ Er würde von Zürich aus nach Paris
fliegen.
“Wir
fahren dann am Freitag Abend weiter nach Nordfrankreich und verbringen dort das
Wochenende,“ sagte er.
Obwohl
ihr Mann eigentlich wenig freie Zeit zur Verfügung hatte, wusste er sie sich so
einzuteilen, dass Marina und er viel davon hatten. Wenn er Marina und Océane
mitnahm, ergab sich auch während der Fahrt Gelegenheit, mal über nicht so
wichtige Dinge zu plaudern und über all das, was so liegen geblieben war. Man
konnte auch eine längere Strecke beisammen sein, die sonst nur
ausschließlich dem Beruf vorbehalten war. Marina war zufrieden mit ihrem Leben,
wenn sie denn die Gelegenheit nutzen konnte, ihren Mann zu begleiten. Océane
war mit ihren elf Monaten nun etwas munterer, aber dennoch schien es für ihre
Mutter kein Problem, sich mit dem Kind in Paris zu amüsieren.
Die
Morgenstunden wollte Marina mit ihrer kleinen Tochter im Hotel verbringen.
Océane konnte im Zimmer zunächst einmal herumkrabbeln und danach ihr
Morgenschläfchen machen. Marina hätte Zeit, zu lesen.
Erst
danach würden sie mit ihrem Dreiradkinderwagen vom Bahnhof St. Cloud nach St.
Lazare aufbrechen, um im Lafayette-Kaufhaus oder in einer Kinderboutique nach
schicken neuen Kinderschuhen Ausschau halten. Einfarbige Kinderschuhe, die zu
Océanes Kleidung passten und das Kind nicht kunterbunt aussehen ließen.
Océanes
erste Schuhe aus dem Italienurlaub waren zu klein geworden und schon eine Weile
zog ihr Marina nur noch Strumpf über Strumpf oder ihre Pantoffeln an, die sich
meist irgendwo verloren.
Endlich
entschied sie sich, in einem Saarbrücker Kaufhaus taubenblaue Schuhe in Größe
20 zu kaufen. Sie waren in verschiedenen Blautönen mit Punkten gemustert und
waren von allen die beste Wahl. Für Kinderschuhe
waren sie verhältnismäßig günstig, hatten eine Gummisohle und Marina dachte,
sie könne keinen Fehler machen. Und dann hatte Océane sie doch nicht
angezogen! Sie hatten ihr nicht wirklich gefallen und sie war froh, dass Marina die
Gelegenheit hatte, in Paris nach einem anderen Paar zu suchen. Ja, sie hoffte
auf Paris. Sie hoffte darauf, dass es hier hübsche, nicht so teure Schühchen in
rosa oder am liebsten in weiß gab, so wie das letzte Paar es gewesen war..
Hélene, ihre Schwiegermutter, erwähnte ständig „die schicken Mailänder Schuhe“,
wenn sie Océane in ihren hübschen ersten Tretern sah. Marina hatte kein Problem
darin gesehen, auch in Deutschland so ein dankbares Paar zu finden, wenn diese
zu klein wurden. Und dann war es zur Winterzeit in ihrer kalten Heimatstadt
doch eines.
Die
Babyfachgeschäfte führten einfach keine passenden Kinderschuhe. In den Kinderboutiquen,
wenn es denn welche gab, kannte Marina sich nicht aus. Sie scheute auch
übertriebene Ausgaben für Kinderschuhe. Ihre Tante Margarete hatte es
schlichtweg nicht für möglich gehalten, dass man nach Paris fuhr, um geeignete
Kinderschuhe zu finden. Aber sie hatte ausgiebig Marinas hellen Mantel mit dem
beigefarbenen Kragen aus Pelzimitat bewundert.
„Wo
hast Du den nur her? So ein schicker Mantel...Der war bestimmt teuer..Ich suche
auch mal so was schickes...“, hatte sie gesagt.
Und
dann erzählte Marina ihr von dem großen Pariser Printemps Kaufhaus, in dem Marina bei ihrem vorletzten Besuch den
Mantel so günstig erstanden hatte. Marina fuhr also wieder nach Paris und
freute sich mächtig darauf.
Sie
wollte ihre Reise erst am späten Nachmittag beginnen, um dem großen
Verkehrstreiben in Paris zu entgehen.
Auf einer ihrer vorigen Fahrten mit Daniel konnten beide mit
Océane erst gegen 22.00 Uhr aufbrechen und Marina hatte gegen 1.30 Uhr das
Fahrzeug sicher zum Hotel gelenkt. Bei wenig Verkehr war Paris mit Daniels
Firmenauto und seinem Navigationssystem kein Problem und so plante Marina ihre
erste alleinige Fahrt mit seinem Wagen nicht allzu früh.
„Das
trauen Sie sich?!“ Die etwas betagte Nachbarin von gegenüber schien besorgt. Es
musste also schon etwas besonderes sein, selbst den Wagen nach Paris zu lenken.
Als sie ein junges Mädchen war, war sie einmal mit ihrem Onkel und ihrer
Schwester in Paris gewesen und ihr war in Erinnerung geblieben, dass die
Franzosen wesentlich kleinere Autos fuhren und manche ganz schön verbeult
aussahen. Das aber hatte sich längst geändert. Aber es war noch immer wie ein
kleines Wunder nach Paris zu kommen, obwohl die Seine-Metropole sich nur wenige
hundert Kilometer vor ihrer Haustür befand.
Ihr
Ferienhaus an der Küste Nordfrankreichs schien irgendwie schneller und
einfacher erreichbar, obwohl es geographisch gesehen, noch ein gutes Stück
hinter Paris lag. Paris und eine Reise dorthin gehörten also zu einem ganz
besonderen Mythos auf diesem Erdball.
Marina
nahm einen großen Koffer aus dem Kleiderschrank. Es war nicht nötig, sich auf
weniges zu beschränken. Für die kommenden vier Tage wollte sie für sich und
Océane ihre besten Kleidungsstücke mitnehmen. Dafür bügelte sie ausnahmsweise
in der Waschküche noch ein paar frisch gewaschene Sachen. Das Kind war wie
immer am Mittwoch bis zum späten Mittag bei einer Tagesmutter untergebracht.
Als sie ihr Kind abholte, schlief es im Auto ein, so dass Marina es vor der
Haustür weiter schlafen ließ und in Ruhe packen konnte. Ein stressfreier Tag,
wie Marina fand. Ihre schmale schwarze Handtasche tauschte sie gegen eine
größere ein. Auf Reisen kam immer einiges hinzu: die Videokamera, der
Reiseführer, das kleine Wörterbuch. Da war eine größere Tasche besser...
„Madame,
trois Euro cinquante, s’il vous plaît.« Marina hatte die Fensterscheibe an der
ersten Zahlstelle auf der Autobahnstrecke nach Paris heruntergelassen und sah
die Kassiererin an. Die ersten zwanzig Kilometer der Fahrt lagen hinter ihr.
Sie begann nach ihrem Geldbeutel in ihrer Handtasche zu kramen, die sie auf den
Beifahrersitz gestellt hatte. Er war nicht da. Wo war er? Sie hatte ihn doch
eingesteckt. Sie war sich eigentlich sicher. Aber sie fand ihn nicht. Hinter
ihr stand ein großer Transporter.
„J’ai
pas d’argent,“ sagte Marina zu der Frau in der Kabine.
« Pas
d’argent? Pas une carte bancaire?» Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt und den
dunklen Haaren sah sie etwas ungläubig an.
Marina
kramte nochmals im Hauptfach ihrer Tasche. Da war nichts.
„Non,
pas du tout. Je suis desolée.»
«Oh,
la, la...«, meinte die Frau in ihrer etwas verwaschenen Strickweste am
Peage-Schalter. Es gab ein Problem. Marina konnte nicht weiterreisen. Die Frau
begann den deutschen LKW-Fahrer zurückzuwinken. Sie schien etwas älter als
Marina zu sein. Sie war nicht besonders hübsch, wirkte aber nicht unfreundlich,
auch wenn sie nun doch mit ihren großen dunklen Augen ernst dreinblickte.
„Qu’est-ce
que, je peux faire maintenant? Est-ce que je peux retourner ici?» Ohne
Geldbeutel konnte Marina ihre Reise nicht fortsetzen.
Die
Frau nickte. Marina würde umdrehen.
„Was
ist denn los?“ Der Fahrer des LKWs kam
bis an die Fahrertür und beugte sich nach vorne zu Marina.
„Ich
habe meinen Geldbeutel vergessen.“ Er sah das Kind hinten im Kindersitz. Er
schien nicht sonderlich verärgert. Er ging sofort zu seinem Fahrzeug zurück,
das Marina die Sicht nach hinten versperrte. Sie empfand keine Angst. Sie
brauchte nur zurückzustoßen, der großen LKW-Front folgend. Sie konnte nicht erkennen,
wie viele Fahrzeuge sich noch dahinter befanden. Sie fuhr zurück, sah dass es
auf der linken Seite keine Barrieren zur Gegenfahrbahn gab, passte die
entgegenkommenden Autos ab, gab Gas und weg war sie.
„Keinen
Geldbeutel“, dachte sie auf der Fahrt zurück. Irgendwie kann das nicht sein.
Sie
fing wieder in ihrer Handtasche zu kramen. Océane war auffallend still die
ganze Zeit gewesen.
„Jetzt
muss ich wieder nach Hause fahren.“ „Aber wo soll ich suchen?“ Sie ging wieder
den häuslichen Ablauf der vergangenen Stunden durch.
„Nein,
er muss hier irgendwo sein,“ dachte sie.
Océane
hatte ihn in der Hand gehabt, während sie ihre alte Tasche ausgeräumt hatte.
Dort konnte er also definitiv nicht mehr sein.
„Ich
wechsele doch nicht mehr die Taschen. Dann passiert das nicht mehr. Ich werde
mir eine ganz schicke neue Tasche in Paris kaufen, die groß genug ist, so dass ich
sie immer tragen werde.“ Sie kramte in Oceanes Rucksack mit ihren Esssachen und
den Windeln. Nein, da war er nicht.
Sie
versuchte es wieder in der Handtasche, während der Wagen heimwärts rollte.
Diesmal im Seitenfach. Ganz unten fühlte sie etwas. Plötzlich hielt sie den
Geldbeutel in der Hand. Da war er. Das gab es doch nicht. Und sie dachte, sie
hätte ihn nicht eingesteckt. Das Seitenfach der Tasche war ausgesprochen tief
geschnitten. Darüber befanden sich ihr Spiegel, ihr Lippenstift und Vaseline,
um Océanes Babyhaut vor eisiger Kälte zu schützen, ebenso ein Päckchen
koffeinfreier Pulverkaffee. Marina hatte ihn einfach nicht gefühlt. Nicht
erwartet, dass das Seitenfach so tief ging. Sie suchte die nächste Ausfahrt. Forbach. Also wieder zurück.
Als
die Autospitze wieder nach Paris zeigte, erholte sich Marina von dem Schreck und
einem solchen Beginn ihrer Reise. Océane auf dem Hintersitz plapperte wieder
los. Es begann zu regnen.
Erneut
näherte sie sich der ersten Zahlstelle ihrer Reiseroute. Diesmal wählte sie
eine andere Durchfahrt.
Zwei Frauen saßen im Häuschen. Die Kassiererin war eine große schlanke Frau mit
langen blonden Haaren. Sie trug einen schwarzen Rollkragenpulli und eine
Goldkette darüber. Eine weitere blonde Frau mit einem Wuschelkopf saß daneben. Marina bemerkte, wie die Frauen ihr Gespräch unterbrachen. Marina und die große Blonde
öffneten gleichzeitig eine Fensterscheibe. Sie sahen sich an. Die Kassiererin behielt ihren netten Gesichtsausdruck bei, als sie um die Gebühr bat. Sie ließ
Marina alle Zeit der Welt, das Geld hervorzuholen. Ihre zurückhaltende
angenehme Art, fiel Marina direkt auf und sie gab Marina das Gefühl, dass sie sich
nicht beeilen musste. Sie
senkte etwas ihren Kopf, um Océane zu sehen. Océane hatte sich ihren Schnuller
in den Mund gesteckt. Sie sagte etwas zu der anderen Frau über das Baby,
während sie Marina die Hand entgegenstreckte. Marina gab ihr das Geld passend.
Kaum hatte Marina bezahlt, öffnete sich die Schranke und sie gab Gas.
"Das
war eine angenehme Französin", dachte sie. Sie hatte etwas richtig Würdevolles,
Erhabenes an sich und hatte trotzdem irgendwie ein zartes Wesen. Marinas
Aufregung von vorhin war wie weggeblasen. Sie freute sich nun richtig auf die
Fahrt. Auf Paris. „Bon voyage“, hatte die blonde Frau mit der anderen Frau an
ihrer Seite noch zu ihr gesagt. „So ist es angenehm zu reisen.“, dachte Marina.
Sie war froh, dass sich ihr Mann noch kein Gerät angeschafft hatte, um mit
dem Wagen einfach durch eine télépeage
zu fahren und damit automatisch zu bezahlen. Sie war vollauf zufrieden.
Die
weitere Fahrt verlief normal. Das Kind war wegen des langen Mittagsschlafes
noch munter, und da sie im Fond des Wagens saß, langweilte sie sich und suchte
Beschäftigung. Es war schon zu dunkel, um die Welt von der Fensterscheibe aus
zu beobachten. Und das Spielzeug, das ihre Mutter aus einer Stofftasche
hervorzauberte, landete nach an einer Weile auf dem Boden. Marina hielt an, um
eine Pause einzulegen. Sie trank einen koffeinfreien Espresso, während Océane
ihre kleinen Händchen immer wieder auf das Holzbrettchen am Kinderstuhl
patschte und Marina nahm ein wenig vom Dessertbüffet und gab Océane davon.
Später
hielten sie nochmals. In dieser Raststätte gab es eine kleine Rutschbahn und
eine Wippe und das kleine Kind jauchzte vor Vergnügen.
Marina hatte im Radio Nachrichten
gehör t. Heute war kein gewöhnlicher Tag. Während sie sich auf dem Weg nach
Paris befand, feierten die deutschen und französischen Abgeordneten gerade den Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und
Deutschland aus dem Jahre 1963. Marina war noch gar nicht auf der Welt gewesen.
Einige der jüngeren Abgeordneten, die teilnehmen konnten, auch nicht. Es war
für beide Seiten ein großer Tag und die Feierlichkeiten sollten sich über zwei
Tage erstrecken. Heute stand Paris im Mittelpunkt. Es gab eine gemeinsame
Tagung der Nationalversammlung und des Bundestages im Versailler Schloß. Gerade
aßen bei einem festlichen Banquet alle gemeinsam in der langen Galerie mit den
riesigen Wandgemälden über vergangene Schlachten im Schloß. Morgen würde in der
deutschen Hauptstadt gefeiert werden. Aber auch die kleine grenznahe Region aus
der sie kam, wurde verstärkt beachtet, seit diese in den fünfziger Jahren an Frankreich orientiert gewesen war.
Dieser vierzigste Jahrestag des Elyséevertrages zwischen Konrad Adenauer
und Charles de Gaulle hatte im Laufe der Zeit aus Erbfeinden nach blutigen
Kriegen und Auseinandersetzungen Freunde gemacht und aus dem deutschen
Michel und der französischen Marianne war ein Paar geworden. Marina persönlich
hatte nie etwas von der früheren Feindschaft gespürt. Sie war zu jung dazu und
die Politiker beiderseits hatten gute Arbeit geleistet. Das spürte man in vielen
kleinen Dingen. Ihre kleine Nichte Annabelle hatte den französischen
Kindergarten über der Grenze besucht, es gab saarländische Kindergärten, in
denen den Kindern auf spielerische Weise, die Sprache des Nachbarn nähergebracht
wurde. Die Schüler beiderseits machten Unterrichtsbesuche, veranstalteten
gemeinsame kulturelle und sportliche Wettbewerbe und fuhren auf Klassenfahrten
ins Nachbarland. Es gab viele, viele Franzosen und
Französinnen, die im Saarland arbeiteten. Die deutsche Hauptzentrale ihres französischen
Privatwagens befand sich in ihrer Heimatstadt.
Marina
selbst war ein besonderer Fall. Mit ihrem Ferienhaus im Norden Frankreichs war
sie mehr als eine Grenzgängerin geworden. Sie lebte in beiden Kulturen. Und sie
schätzte, je mehr sie von der französischen Lebensart kennenlernte, diese umso
mehr. Die Beobachtung des Lebens der Franzosen gaben ihr eine Zufriedenheit und
ein besonderes Selbstbewusstsein, das sie bei den Menschen in Deutschland
selten erlebte. Sie liebte den Charme der Franzosen. Sie schienen alles aus
Überzeugung zu tun und zu dieser zu stehen. Sie konnten erklärten, warum ihnen
etwas gefiel. Moi, j’adore..., Moi, je
fais, sagten sie. Diese Art von Lebensgefühl hatte Marina bis zum Kauf
ihres Ferienhauses nicht gekannt. Immer wenn sie in Frankreich war, blühte sie
ein wenig mehr auf, als sie es in Deutschland tat. Kein Wunder, dass sie zu
ihrer Neigung gestanden hatte, nach Paris nur ihre besten Kleidungsstücke
mitzunehmen und die zweite Garnitur an Anziehsachen zurückzulassen.
Der
anfängliche Regen hatte aufgehört und mehr als die Hälfte der Strecke lag
hinter ihr. „Achtung, in 100 km Stau.“, sagte das Navigationssystem. In einer
Länge von 2,4 km auf der Peripherique
von Paris gab es zähfließenden Verkehr. „Bis ich komme, ist der längst vorbei,“
dachte Marina.
Das
System hatte die Musik des französischen Senders Radio Nostalgie unterbrochen, des Radiosenders, den sie neu eingestellt hatte. Die kleine Océane war zufrieden mit einem
Schnuller aus Mamas Manteltasche eingeschlafen. Weit hinter Reims kam sie an
die vorletzte Zahlstelle. Der Sender spielte gerade einen alten amerikanischen
Lovesong. „Honey I love you.“
Marina summte leise mit. Sie reichte der Frau
an der Zahlstelle ihre Kreditkarte, die sich im wiedergefundenen Geldbeutel
befand.
„Jetzt fahre ich von Zahlstelle zu Zahlstelle und
plötzlich beschäftigt mich diese französische Frau.“ In ihren Augen waren die
Französinnen meist viel hübscher und eleganter als die deutschen Frauen. Und
nun hatte sie eine andere Französin gesehen. Und tatsächlich fiel ihr dann ein,
es waren heute Abend nur Frauen gewesen, die an den Péagestellen die Gebühr kassierten. Außer den ersten beiden, hatte
sie die anderen nicht sonderlich in Augenschein genommen. Sie hatten alle ihren
Job getan, während Marina die Autobahn nach Paris benutzte. Marina war jetzt etwas bedrückt.
„Sie macht doch den gleichen Job wie die anderen. Warum
geht es nur ihr so schlecht und den anderen nicht? Diese französische Frau
hatte sie wachgerüttelt. Sie hatte die ganze Fahrt über nicht viel nachgedacht.
Der Radiosong ging zu Ende. ‚Kann die Frau denn kein Radio hören?’ ‚Kann sie
nicht mit jemandem telefonieren? Vielleicht Handarbeiten. Einen Roman lesen? Kann sie sich nicht beschäftigen, um zufrieden zu sein. Mit welchen Sorgen war
sie heute zur Arbeitsstelle gekommen? Hatte ihr Mann keine Beschäftigung? Hatte
sie Schulden? Waren die Kinder krank? Was hatte diese Frau so schwer getroffen,
dass sie so unglücklich drein sah.
Nicht alle lebten ein so gutes Leben wie Marina. Aber sie hatte den anderen Frauen bei ihrer Arbeit an der Péagestelle zugesehen. Es ging nicht allen schlecht. Die Frau mit den blonden Haaren hatte Marina dermaßen in gute Stimmung gebracht, dass Marina sich sicher fühlte, sorgenlos mit dem Firmencabriolet nach Paris zu fahren. Selbst, als die kleine Océane nicht mehr unbedingt im Autositz ihre Zeit verbringen wollte, die Grazie der Blonden hatte sie daran erinnert, ruhig und gelassen zu bleiben.
Nicht alle lebten ein so gutes Leben wie Marina. Aber sie hatte den anderen Frauen bei ihrer Arbeit an der Péagestelle zugesehen. Es ging nicht allen schlecht. Die Frau mit den blonden Haaren hatte Marina dermaßen in gute Stimmung gebracht, dass Marina sich sicher fühlte, sorgenlos mit dem Firmencabriolet nach Paris zu fahren. Selbst, als die kleine Océane nicht mehr unbedingt im Autositz ihre Zeit verbringen wollte, die Grazie der Blonden hatte sie daran erinnert, ruhig und gelassen zu bleiben.
Sie ließ die Frauen heute Abend an sich Revue passieren:
Da war eine Frau mittleren Alters mit einem energischen
Blick. Sie kassierte, bevor sie wieder einen kräftigen Zug aus ihrer Zigarette
nahm. Dass sie eine starke Raucherin war, sah man ihrer Haut an. Sie schien
nicht unsympathisch, aber etwas distanziert.
Da war die dunkelhaarige junge Frau ohne Gesicht. Marina
hatte ihr Gesicht nicht registriert, weil sie für die Gebührenberechnung nur
kurz ihr Telefongespräch unterbrochen hatte. Sie beugte sich kurz danach wieder
nach vorne und sprach weiter. Marina hatte an ihren Bewegungen erkannt, dass sie
noch jung war - vielleicht eine Studentin, die sich hier die Zeit bis zum
Feierabend kurzweilig gestaltete.
Und dann fuhr Marina zur letzten Zahlstelle vor Paris.
Und wieder war es eine Frau, die kassierte. Heute Abend. Sie war etwas älter
als Marina und wirkte nett. Sie gab Marina mit ihrer schlanken Hand und ihren
vielen Goldringen am Ringfinger das Geld und dann schloss sie wieder das Fenster
des Zahlhäuschen. Sie beachtete Marina und ihr Auto nicht weiter. Hier an der
Autobahn hatte sie eine ganz normale Arbeitsstelle gefunden. Marina bewunderte
sie dafür ein bisschen. Sicherlich waren die Kinder der Kassiererin wohlerzogen und ihr Mann
besaß eine mittelgute Stellung und sie führten ein geordnetes Leben.
Zielsicher steuerte Marina nun den Wagen auf die Péripherique von Paris zu. Es gab keinen
Stau mehr. Den Angaben ihres Navigationssystems folgend fuhr sie nach Südwesten.
Ihr Ziel war der Stadtteil St. Cloud.
Sie fuhr am linken Seineufer entlang. Vor ihr lag rechts die Kathedrale Notre
Dame. Ein filigranes Lichtermeer aus dunklen Tönen in braun und blau empfing
sie. Die bekannte Postkartenidylle. Sie hatte die Sehenswürdigkeiten in den
vergangenen Monaten als Beifahrerin immer wieder bewundert. Jetzt wo sie selbst
fuhr, waren sie noch bedeutender. Einige Meter hinter der Eisenbrücke
Alexander III geriet sie auf die Busspur. Um diese Zeit war es kein Problem.
Die Spur war ihr bisher nie aufgefallen. Es war gut, dass sie für sie und die
anderen die Fahrmöglichkeiten verringerte. Gerade die vielen Motorradfahrer
konnten gefährlich schnell an einem Autofahrer rechts oder links vorbeirasen.
Der Eiffelturm auf ihrer linken Seite folgte. Alles klappte gut. Einmal bog
Marina zu scharf rechts ab. Auf dem Navigationssystem war es nicht anders
erkennbar. Sie stand plötzlich vor einem Eisenbahnübergang und musste warten.
Das System lenkte sie ohne großen Zeitverlust sicher in die gewünschten
Straßen, die sie schon bei ihren letzten Besuchen mit dem Kinderwagen
durchgestreift hatte.
Dann hatte sie es geschafft. Sie kam in ihrem
Lieblingshotel an.
Ihr Mann Daniel war noch nicht da. Marina ließ auf ihrem
Handy seine Nummer wählen. Er war unterwegs. Vom S-Bahnhof in La Défense war es noch eine kleine
Weile. Das passte. Sie konnte ihr Gepäck ausräumen und die kleine Océane wecken
und umziehen.
Später, als Marina in dem alten Bett im LouisXV-Stil
neben der kleinen Océane lag, die die Mitte für sich in Anspruch nahm, da das Hotel
über keine Kinderbetten verfügte, dachte sie nach. Sie hätte gerne noch
eine Weile in den Armen ihres Mannes gelegen, aber ihre kleine Familie neben
ihr schlief schon so tief und fest. Marina blieb nichts anderes übrig, als noch ein bisschen wach zu liegen, bis auch
sie schlafen konnte.
Was
hatte sie heute alles erlebt? Diese abendliche Fahrt mit diesen vielen Frauen
an den Autobahnzahlstellen.
Und
was war noch? Da fiel es ihr ein: Ursprünglich hatte sie heute nicht mehr zum
Einkaufen wollen. Tage, an denen sie wegfuhr, sollten den Reisevorbereitungen
vorbehalten sein. Und dann fuhr sie doch schnell in den Baumarkt, als Océane
bei ihrer Tagesmutter war. Sie wollte noch nach einer Tapete für ihr
Gästezimmer Ausschau halten. Die schönsten Tapeten gab es in einem Baumarkt, in
dem es noch keinen Brotshop, Gemüseladen und Getränkeverkauf gab, wie dies
jetzt häufiger üblich war.
Als sie so durch die Gänge schlenderte, verspürte sie plötzlich Lust auf ein Hörnchen. Sie nannte es in Deutschland nicht Croissant. Croissants aß sie in Frankreich, die waren beinahe unnachahmlich. Also dachte sie an ein Butterhörnchen während sie die Tapetenmuster betrachtete. Die Zeit für eine Fahrt zur Bäckerei hatte sie heute nicht. Schon gar nicht für ein einzelnes Hörnchen.
Als sie so durch die Gänge schlenderte, verspürte sie plötzlich Lust auf ein Hörnchen. Sie nannte es in Deutschland nicht Croissant. Croissants aß sie in Frankreich, die waren beinahe unnachahmlich. Also dachte sie an ein Butterhörnchen während sie die Tapetenmuster betrachtete. Die Zeit für eine Fahrt zur Bäckerei hatte sie heute nicht. Schon gar nicht für ein einzelnes Hörnchen.
Und
dann geschah es. Sie kam aus dem Markt und sah vor ihrem Auto einen Bäckerwagen
parken. Sie konnte es nicht wirklich glauben. Aber dann dachte sie an das
Hörnchen und innere Freude keimte in ihr auf. Sie ging auf die Verkaufstheke
zu. Eine blonde Frau mit langen Haaren stand dahinter. „Das Hörnchen da
bitte,“, sagte Marina und zeigte auf das einzige zwischen den anderen
Kaffeeteilchen. Es schien mit etwas gefüllt zu sein. „Das macht ein Euro“,
sagte die Verkäuferin. Marina gab ihr einen Euro und nahm das eingepackte
Hörnchen von der Theke. Plötzlich hielt sie das Hörnchen in der Hand, auf das
sie gerade eben noch so viel Lust verspürt hatte. Für wenig Geld. Wie froh sie
war.
Ob
die sorgenvolle Französin an der Zahlstelle diese Freude verstanden hätte?
Marina dachte noch einmal an sie. Bevor sie in dem kleinen Hotelzimmer im
nächtlichen Paris einschlafen konnte.
Liebe Frau Zimmermann,
AntwortenLöschenin der Zwischenzeit bin ich dazu gekommen, mir Ihren Blog anzuschauen. Er ist geprägt von einem sehr guten Beobachtungssinn und der Fähigkeit, viele Dinge – nicht zuletzt die ganz alltäglichen – auf eine neue Art in Beziehung zu bringen. Beispielsweise bei der Beschreibung des Eindrucks, den eine Kassiererin an der Mautstelle auf Sie gemacht hat. Kompliment dafür. Ich bin sicher, dass Sie damit eine intensiv interessierte Leserschaft anziehen. Und dies ist ja einer der großen Vorzüge der neuen Kommunikationsmittel: Sie erlauben eine sehr vielfältige Teilhabe.
Alles Gute weiterhin für die Zukunft,
mit besten Grüßen
Uwe Kammann
Direktor des Grimme-Instituts