Der Nikolaus in einer Geschichte - Helden
„Meine
Luciah ist eine Erzählerin, ohne dass der Leser allzusehr mit den Umständen
ihres Schreibprozesses konfrontiert wird. Sie hat journalistische Erfahrungen
seit ihrer Jugend. Durch ihre Fähigkeit, ungewöhnliche Träume zu erleben, ist
es ihre Aufgabe, diese und die Träume ihres persönlichen Umfeldes
weiterzugeben. Daß sie damit ein ausgefülltes Leben führt, ist eine der Selbstverständlichkeiten der
Figur. Ihr Mann Enrico, in Teilzeit und mit gelegentlich intensiver
Projektarbeit beschäftigt, unterstützt sie und übernimmt zeitweise die
Betreuung der beiden Kinder. Denn dazu gehören die
fünfjährige Inge-Katharina und die anderthalbjährige Lena-Nicole.“
September 2002
Die vorliegende etwas andere Weihnachtsgeschichte ist
den stillen Alltagshelden gewidmet.
Sie wurde verfasst in Saarbrücken
im Dezember 2012
Der Nikolaus zog einen fair gehandelten Schokoladenmann aus seiner Brusttasche. Bevor er die Geschichte von
seinem Transporttier, dem Esel, erzählte, war es ihm wichtig, den richtigen
Nikolaus mit Stab und weißer Kleidung als Bischof – so wie er auf der
Schokolade abgebildet war - an eine der Personen im Kreis zu verteilen. Luciah
freute es, hatte sie doch vor kurzem gerade die Homepage ihrer Heimatstadt zum
fairen Handel mit Veranstaltungshinweisen aktualisiert.
„Ich habe vor kurzem an einem
Seminar über Zukunftsperspektiven und Nachhaltigkeit teilgenommen“, sagte der Heilige Mann. „Auch
der Nikolaus muss sich noch fortbilden…und reisen.“ Dies wollte er den Kindern
zeigen. Also hatte er die Nascherei aus
fair gehandelter Schokolade mitgebracht. Der im roten Mantel gekleidete Mann
sprach davon, dass bei diesen Nahrungsmitteln es schon viele Bioläden und Weltläden
überall in den Städten gab, aber das Angebot an entsprechend gehandelten Kleidern noch ziemlich dünn gesät
war. Das stimmte, die Leute kauften immer noch schnell und günstig bei C & A
ein, während in Bangladesh Nähfabriken aus Verzweiflung und mangelnden Sicherheitsbestimmungen mit vielen Toten niederbrannten.
Ein Euro achtzig war der Tageslohn einer Näherin dort. Würde man eine Jeans
hier in Deutschland produzierten, würde eine einzige 280 Euro kosten. Kaum zu
glauben.
Der Nikolaus an Nikolausabend mit seinen vielen Geschenken |
Der Nikolaus fragte in die
Runde: „Wer von Euch ist ein Esel?“ Nur wenige meldeten sich. „Wenn das so ist,
kann ich nächstes Jahr nicht mehr kommen…“ „Esel sind wichtig. Sie bringen mich
zu Euch. Und manchmal ein Esel zu sein und dabei etwas störrisch zu sein, kann
nicht schaden,“ fuhr er fort. Der Transportesel des Nikolauses hatte nämlich
anfangs seinen Job bei jedem anderen verweigert, bis eben der Heilige Mann kam.
Der Esel wusste um seine Besonderheit und leistete ab sofort brav seine nicht ganz
leichte Arbeit, weil der Nikolaus viele Geschenke zu Kindern wie Lena-Nicole
und Inge-Katharina zu transportieren hatte.
Oh ja Geschenke, da leuchteten ihre Kinderaugen. Auch wenn es „nur“ die Vorfreude auf noch größere Aufmerksamkeiten an Weihnachten waren. So brachte er Unterwäsche, Bettwäsche, Handyhüllen, Weihnachtssterne für ans Fenster und originellen Weihnachtsschmuck sowie hier und da eine gute Gesichtscreme für die Damen oder eine erlesene Flasche Wein für die Herren. Wie gesagt: Esel und Nikolaus hatten einiges zu tragen. Dabei nahm der Nikolaus einen Teil der Last der Menschen auf sich und hielt eine eindringliche Ansprache, die fast einer Weihnachtspredigt in der Kirche gleichkam: „Der Nikolaus hat drei Wünsche mitgebracht,“ räusperte er sich. „Erstens: In dieser Welt müssen Menschen für Menschen da sein, damit niemand allein und einsam ist und man gemeinsam mehr bewerkstelligen kann.“ Der zweite Hinweis ging an die Kinder, dass sie stolz auf ihre Eltern sein sollten. Da diese immer für sie da sind und ein offenes Ohr für ihre Belange hätten. „Familie und das Elternhaus gilt es zu schätzen,“ so seine Botschaft an die zuhörenden Nachkömmlinge der anwesenden Eltern. Gerade für das bevorstehende Weihnachtsfest war das wichtig. Und sonst natürlich auch. Der dritte Wunsch, war das der Mensch Mensch blieb in der Welt und sein „Ich“ leben konnte. Dass er Menschen fand, so wie er war und sich nicht zu verstellen brauchte…
Hinter dem Nikolaus steckte ein Held. Ein einfacher Mensch, der zum Ausdruck brachte, was er fühlte und was die Zeichen der Zeit waren. Er war selbst so erfreut, dass seine Botschaft so gut bei den Kindern und Erwachsenen ankam, dass er beschloss, sie im kommenden Jahr sie wieder zu besuchen. Auch wenn die Kinder ihn lediglich als einen guten Mann betrachteten, der in einem Kostüm steckte. Der wahre Nikolaus kam in der Nacht und füllte die Stiefel, wenn überhaupt. Früher hatten sie noch mehr Ehrfurcht vor dem Mann in der Verkleidung, weil sie ihn für den heiligen Mann aus Myra hielten, wo er bei den Griechen vor 1700 Jahren geboren wurde und dann seine Lebensgeschichte ihren Verlauf nahm und er als reichgeborener Mann viele Wunder bewirken konnte. So bewahrte der echte Nikolaus in einer Geschichte einen armen Vater davor, seine Töchter in die Prostitution zu schicken, in dem er dreimal hintereinander des nachts Goldklumpen durch den offenen Kamin warf, damit der Vater die Mitgift für die Töchter bezahlen konnte und so diese damit verheiratet wurden.
Der Nikolaus war schon etwas Besonderes. Und dass er kam, erfreute die Herzen.
Luciah liebte in diesen trüben
Tagen das Fernsehen. Da gab es von allen Castingsshows die beste: The Voice. In
Deutschland hieß sie „The Voice of Germany“ und Luciahs Heimat war nur eines
von 29 Ländern, in denen die Sendung über den Satelliten lief. 650 Millionen
Zuschauer verfolgten den Gesang von Talenten, die zuerst von ihren zukünftigen
Coaches nicht gesehen wurden, da diese auf einem umgedrehten Stuhl saßen und auf einen
Knopf drücken mussten, wenn sie die Stimme gesanglich gut fanden. Dann erst
drehte sich der Stuhl zum Kandidaten und dieser wurde für die insgesamt vier
bis fünf Künstler, die auf den Stühlen saßen und beurteilten, sichtbar. Die
ganze Show hatte ein witziges Konzept, weil die Künstler um die jungen Talente
regelrecht buhlten. „Komm zu mir in mein Team, da bist du am Besten
aufgehoben…“, hieß die Devise. Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Konkurrenzkampf
unter hervorragenden Künstlern waren angesagt und so machte es den Zuschauern Spaß zuzusehen. Keine überzogenen Eitelkeiten, aber Frozzeleien bei
den Kommentaren untereinander, wenn jeder der bereits erfolgreichen Künstler
den vermeintlich besten Sänger in seine Gruppe hineinbringen wollte. Die
Sendung bekam wie es sein sollte, den deutschen Fernsehpreis und machte den
niederländischen Erfinder des Fernsehformats John de Mol zu einem der reichen
Männer in Europa.
Luciah gefielen die Künstler gut, wie sie auf ihrem roten Sessel hockten und sich gegeneinander auszuspielen versuchten. Das erschien ihr so menschlich und nicht gekünstelt. Über Facebook und Twitter erhielt sie zusätzlich die neuesten Nachrichten und Fotos von der Kulisse hinter der Bühne. So entstand für die Frau ein fast vollständiges Bild von der Show, die ihr so gut gefiel. Die Künstler, die in ihrer Bescheidenheit, aber mit Siegerwillen, dem besten Sänger im Team, gewinnen wollten und in der breiten Öffentlichkeit standen, waren für Luciah wahre Helden. Sie wirkten niemals arrogant oder aufdringlich. Sie „zogen sich nicht mental für den Zuschauer aus“ um ihn zu locken, sondern waren - so wie sie dachten und fühlten - ehrlich und liebevoll und gewannen damit die Herzen ihrer zuschauenden Fans. Helden. Und viele dieser Helden und Stars, denen es finanziell gut ging, hatten Stiftungen gegründet, waren ihre Schirmherren und sammelten Spendengelder für gute Zwecke. Aber das war nicht alles.
Echte Helden waren auch behinderte oder kranke Menschen, die trotzdem ihr Leben im Griff zu haben schienen.
Letztes Jahr im November hatte
ein neuer Film in Frankreich Furore gemacht und innerhalb zwei Wochen drei
Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt: „Les Intouchables“, oder auf deutsch
„Ziemlich beste Freunde“. Der Film, eine lustige Komödie, war echt sehenswert:
handelte er von einem vom Hals ab gelähmten Menschen und seinem Pfleger, der
sich ihm gegenüber ohne Mitleid und mit viel Witz verhält. Er holt ihn raus aus
seinen Alltag und unternimmt viele Abenteuer mit ihm, die der Gelähmte sonst
nicht imstande gewesen wäre, zu erleben. Es ist ein ganz und gar ungleiches
Paar. Und das macht den Film menschlich. Der Pfleger kommt hinter schwedischen
Gardinen hervor und hatte Zeit zur Besinnung. Der andere ist ein reicher
Aristokrat, der einseitig zunächst Interesse an der bisher gescheiterten Existenz
seines zukünftigen Pflegers nimmt, bis sie sich gegenseitig schätzen lernen und
voneinander profitieren. Daraus entstehen Freundschaft, Vorankommen,
Zuversicht, Ehen, ein paar Bücher, eine Stiftung und ein hervorragender Film,
der die Massen bewegt.
„Sie sind ein Geschenk“, sagt
die Reporterin zu Philippe Pozzo di Borgo, dem gelähmten Tetraplegiker, in der
ZDF Sendung 37 Grad (Dienstag, 4. Dezember 2012). „Dann binden Sie mir doch ein
Band um“, antwortet Philippe. „Wollen Sie mich nicht ernst nehmen?!“, fragt die
Reporterin ihr Gegenüber. Genau das kann er nicht. Weil der Aristokrat in
seinen Ansichten sehr bescheiden ist. Kein Held sein will, der die Welt rettet.
Diesen hält er für einen Witz.
Ein wahrer Held. Gemacht für
die Öffentlichkeit, die danach zehren sollte, solche Menschen in ihre Mitte zu
rücken. Genau wie seinen Pfleger Abdel Sellou.
Dann gab es in der Gesellschaft noch viele stille Helden. Helden, die täglich mehr leisteten als andere, die sich mehr abverlangten oder von denen mehr abverlangt wurde. Luciah kannte solche und bewunderte sie im Geheimen. Sie waren so gradlinig, so direkt mit ihrer Hilfsbereitschaft. In ihrer Heimatzeitung wurden jeden Monat drei aus der Region gesucht. Sie kümmerten sich um Flüchtlinge, verlassene Tiere, kranke und einsame Menschen, manchmal auch um den Naturschutz usw. Menschen, die nicht im Rampenlicht standen, aber alles taten, dass die Welt ein menschlicheres Antlitz und besseres Verständnis für die mitmenschlichen Probleme bekam.
Es kam die Nachricht aus Afrika, dass wieder eine neue Schule mit Unterkünften für elternlose oder mittellose Kinder eingeweiht worden war . Shangilia hieß das Gesamtprojekt. Die Schule war mitten in den Slums im kenianischen Nairobi angesiedelt. Luciah erkannte im beigefügten Film einige Schüler und Lehrer, die sie in Deutschland kennengelernt hatte, als mit einer Schülertanzgruppe Spendengelder gesammelt wurden. Auch den stillen Spendern hier oder den unzähligen Helfern vor Ort galt Dank und Achtung. Richtige Alltagshelden waren das. http://www.youtube.com/watch?v=FjgJ6_AE9es
Luciah war sich nicht sicher,
wer sie eigentlich war oder sein konnte. Nicht, dass sie einmal in die
Kategorie Held oder stille Helden eingeordnet werden wollte. Nein, es war dennoch
etwas Seltsames mit ihr, seit sie – vor einigen Jahren – regelmäßig mit dem
lieben Gott in einem goldenen Ferrari durch die von ihm gemachte Welt vor. In
ihren Träumen versteht sich. Das hatte sie verändert.
Sie war nicht mehr so ehrfürchtig Stars und Helden gegenüber, sondern hatte das
Gefühl „auf Augenhöhe“ mit ihnen kommunizieren zu können, wenn sie denn mal
einen traf. Dies war eigentlich völlig überheblich von ihr, denn Luciah hatte
nicht so viel vorzuweisen, wie so viele andere, die sich beispielsweise
beruflich profiliert hatten. Warum sie keine Berührungsängste hatte und sich
sogar in der Gegenwart von Stars manchmal zu langweilen begann, dann z.B. wenn
sie an einer Charity-Veranstaltung teilnahm, wußte sie nicht genau. Mangelte es
ihr an Respekt und an Zurückhaltung? Konnte sie den anderen genug schätzen? All
diese Fragen stellte sie sich in der Weihnachtszeit. Wo die Geburt Jesu
gefeiert wurde. Und damit das unschuldige kleine so berühmte Kind in der Krippe
im Stall.
Sie wunderte sich manchmal
über die Leute. Vielleicht machten sie sich nicht so viele Gedanken über Luciah
und sich. Und das war gut so. Luciah stand auch nicht in der Öffentlichkeit.
Die Öffentlichkeit konnte einen vorübergehend hervorheben, aber auch sehr
kurzlebig sein. Da musste man aufpassen und festen Boden unter den Füßen haben,
wenn jeder meinte, seinen Kommentar abgeben zu müssen.
Wie schön das Leben aber doch sein konnte! Mit Aufgaben. Mit Freunden. Mit Liebe. Mit Fürsorge. Manche hatten in dieser Zeit immer noch kein warmes Dach über dem Kopf. Es galt was zu tun.
Wie schön das Leben aber doch sein konnte! Mit Aufgaben. Mit Freunden. Mit Liebe. Mit Fürsorge. Manche hatten in dieser Zeit immer noch kein warmes Dach über dem Kopf. Es galt was zu tun.
Und vielleicht wurde man dann
von ganz allein so was wie ein - stiller
- Held.
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