Die vorliegende Geschichte
wurde am 16. und 20. Dezember 2005
verfasst
und wieder
als diesjährige Weihnachtsgeschichte
ausgewählt
Ganz besonders
den
lieben Menschen gewidmet,
die
direkt oder indirekt
zum
Entstehen der Geschichte
beigetragen
haben
******
„Meine
Luciah ist eine Erzählerin, ohne dass der Leser allzusehr mit den Umständen
ihres Schreibprozesses konfrontiert wird. Sie hat journalistische Erfahrungen
seit ihrer Jugend. Durch ihre Fähigkeit, ungewöhnliche Träume zu erleben, ist
es ihre Aufgabe, diese und die Träume ihres persönlichen Umfeldes weiterzugeben.
Dass sie damit ein ausgefülltes Leben führt,
ist eine der Selbstverständlichkeiten der Figur. Ihr Mann Enrico, in
Teilzeit und mit gelegentlich intensiver Projektarbeit beschäftigt, unterstützt
sie und übernimmt zeitweise die Betreuung der beiden Kinder. Denn zu dieser
Familienidylle gehören die fünfjährige Inge-Katharina und die anderthalbjährige
Lena-Nicole.“
Heike Maria
Zimmermann
Eine etwas
andere
Weihnachtsgeschichte
„Mama, warum hat
Gott an Weihnachten denn einen Tsunami geschickt?“
Inge-Katharina
hatte sich ihre Kinderfrage genau überlegt. Luciah wurde verlegen. Nur wenige
Leute konnten sie so direkt fragen wie ihre Kinder. Bisher waren es nur ein
paar wenige, die wussten, dass sie in ihren Träumen mit Gott in einem schnellen
Ferrari saß und ihn immer fragen konnte. Wenn sie es denn wollte.
Anders als ihre
Kinder dachte Luciah aber nicht immer daran, Gott eine solche direkte Frage zu
stellen. Vielleicht hätte er ihr direkt geantwortet. Und die Antwort auf eine
Frage nach der Ursache einer so schweren Naturkatastrophe für die Menschheit im
Jahre 2004 nun doch in dieser Form zu stellen, nein, das hätte Luciah nicht gewagt.
Gott und sie sprachen beispielsweise über den Sinn von Aufgaben für die
Menschen. Über seine kleine Luciah, über die er
seine Hand hielt, weil er wollte, dass sie ein gutes Leben führte.
Nun ihren Kindern mit
ihrem Kinderverstand etwas so Schreckliches erklären zu müssen, wie einen
Tsunami und seine Auswirkungen, das fiel ihr doch sehr schwer. Aber da
ihre Mädchen mit ihren Fragen nach einem grausamen Jahr der Katastrophen und
Naturgewalten nicht locker ließen und ihrer Mutter nur wenig entlocken konnten,
ließ sie sich ein Märchen einfallen, das es ihnen erklären konnte. Und das ging
so.
Es war einmal ein Mädchen. Eines
Tages wurde ihm ein Haus geschenkt. Doch das Haus war in keinem guten Zustand
und musste daher renoviert werden. Das Mädchen machte sich an die Planung und
hatte dabei viele Ideen, wie man die neue Wohnstätte mit ihrem Garten
umgestalten könnte. Die Handwerker, denen es Aufträge gab, erschienen aber
häufig nicht zu den Terminen. Sie hatten entweder bessere oder leichtere
Aufträge oder waren krank. Das Mädchen wartete daher und wartete. Die Arbeit
ging einfach nicht voran. Manchmal schrieb es auch böse Briefe. Denn
schließlich hörte es, wie andere Bauherren die Handwerker unter Druck setzten.
Manchmal verzögerten sich die
Arbeiten auch einfach deshalb, weil das Wetter nicht mitspielte oder Material
nicht geliefert wurde. Auch dann wartete das Mädchen, aber es wusste dann, dass
dies nicht die Schuld der Handwerker war. Es dachte sich, dass die Entscheidung
von göttlicher Hand kam, die beschlossen hatte, die Renovierung dauern zu
lassen. Und so wurde das Mädchen immer geduldiger.
Wenn die Handwerker kommen konnten,
versuchte das Mädchen, es ihnen leicht zu machen. Es kochte und verschob seine
persönlichen Termine. Auch der Mann des Mädchens wollte, dass es zu Hause blieb
und sich um die Baustelle kümmerte. So blieb es zu Hause, damit er ausgehen
konnte, um das Geld für die Bezahlung der Handwerker zu verdienen. Der Mann war
Psychologe und hatte eine Praxis auf einem Hügel im Norden der Stadt. Das
Mädchen wartete weiter und weiter. Doch während es wartete, wurde es immer
unruhiger, weil es im Hause mit sich nichts Richtiges anfangen konnte außer
warten.
Eines Tages dachte es sich: „Wenn ich
schon keine Möglichkeit habe, rauszugehen, und etwas zu lernen, so will ich
wenigstens in meinem Garten etwas tun.“ Und es fand einen kleinen ausländischen
Bauernzwerg, der bereit war, ihm dabei zu helfen.
Der Bauernzwerg legte nach seinen
Plänen im Garten ein Gemüsebeet an und pflegte es. Anfangs sprach er überhaupt
kein Deutsch. Es war ein schwieriges Unterfangen, ihm erklären zu müssen, dass
das Mädchen Karotten, Salat, Bohnen und weitere Gemüsesorten in dem Garten
anbauen wollte. Außerdem mussten Kirschen, Aprikosen, Äpfel, Pflaumen und
Holunder geerntet und zu Marmelade verarbeitet werden, dann mussten Kirschen,
Aprikosen und Pflaumen in Einmachgläsern für den Winter konserviert werden. Der
Hühnerstall musste gesäubert, die Kuh und der Wachhund gefüttert werden. All
das musste der Bauernzwerg lernen. Schließlich beschloss es, einige Erträge des
Gartens auf den Markt zu verkaufen, damit wieder Geld in die Kasse kam, die
durch die Handwerker doch arg geplündert worden war. Auch dies war eine Aufgabe
für den Zwerg und das Mädchen konnte ihm dabei nicht helfen, weil es ja zu
Hause auf den einen oder anderen Handwerker warten musste, damit die
Renovierung eines Tages abgeschlossen sein würde.
Es ging zwei Sommer und Winter lang
gut. Der Zwerg sprach zudem immer besser Deutsch, auf dem Markt konnte immer
mehr verkauft werden, weil er und das Mädchen achtsam mit ihrer Arbeit im
Garten umgegangen waren und reiche und gute Erträge erzielt hatten.
Eines Tages kam der Zwerg jedoch ganz
traurig vom Markt zurück. Er zeigte seinen Geldbeutel. „Schau mal“, sagte er.
„Die Leute von der Stadt haben mir fast alles abgenommen.“ Wer nämlich auf dem
Markt etwas verkaufen wollte, musste an die Stadt jetzt höhere Gebühren zahlen,
da sonst der Stadtsäckel bald leer war. „Sie haben mir gesagt, dass es ein
neues Gesetz gebe, sagte der Zwerg traurig. Nun reichte das Geld, für das sie
den ganzen Sommer gearbeitet hatten, kaum mehr aus, um in den kommenden
Wintermonaten die Heizkosten für das Haus des Mädchens und für die Behausung
des Zwerges aufzubringen. Der Zwerg und das Mädchen weinten. Sie hatten Angst
davor, zu frieren, wie es schon so viele Menschen in der Gegend taten.
In der Stadt gab es einen reichen,
sehr einflussreichen Mann, der ein großes Haus im Villenviertel besaß. Der
tanzte meist im Winter mit schönen Frauen in der heißen Sonne, während er seine
Familie in der Kälte zurückließ. Seine Kinder waren darüber sehr traurig und
wurden krank. Sie kamen zu dem Mann des Mädchens in die Praxis auf dem Hügel.
„Hier“, sagten sie, „das ist ein Bild von unserem Vater.“ Und sie reichten dem
Psychologen sein Bild. „Natürlich kenne ich euren Vater“, sagte der Mann.
„Jeder kennt ihn.“ „Wisst ihr“, sagte er dann, „euer Vater hat nicht nur euch,
sondern auch anderen Menschen Leid angetan.“ Und er versuchte sie zu trösten.
Inzwischen hatten sich das Mädchen
und der Zwerg Rat geschaffen. Sie verkauften ihre Waren nicht mehr auf dem
Markt. Der Zwerg ging jetzt von Haus zu Haus und fragte, ob die Leute etwas
gebrauchen können. Ihr Geschäft konnte weiter laufen…
Der Mann erzählte am Abend seiner
Frau, dass er die Kinder des mächtigen Mannes hatte trösten müssen. Sie hätten
ihm leid getan, weil sie jetzt unter den gleichen Problemen zu leiden hatten
wie so viele Menschen in dieser Zeit. Da hatte das Mädchen eine herzensgute
Idee. Es sagte zu seinem Mann: „Mein Zwerg ist nun ein cleverer Mann geworden,
er weiß, wie man hierzulande in den Stromschnellen des Alltags durchkommt und
wie man mit ein bisschen Geschick und Fleiß es schafft, zu überleben und dabei
gesund zu bleiben.“ Das war in jenen Tagen gar nicht einfach. Der Psychologe
hatte immer mehr zu tun, weil immer mehr Menschen hinauf zu seiner Praxis auf
den Hügel dicht am Himmel gingen, um seine Hilfe aufzusuchen.
Der Mann und das Mädchen schickten
daher den Zwerg zu den Kindern des reichen Mannes. Er tat das, was er für das
Mädchen getan hatte, jetzt für dessen Familie. – Als der Vater hörte, dass
seine Kinder wieder gesund waren und es ihnen gut ging, reute es ihn und er
kehrte aus der heißen Sonne zurück.
Der Zwerg hatte seine Arbeit getan
und der reiche Mann kümmerte sich wieder selbst um seine Familie. Der Zwerg
ging daher wieder zurück zu dem Mädchen und half ihm, die Renovierung zu
beenden. Dem mächtigen Mann wurde es jedoch schnell langweilig zu Hause, weil
er größere Aufgaben gewöhnt war. Also fragte er den Zwerg, ob er nicht wieder
bei ihm arbeiten könnte, um auf dem Grundstück seiner Nachbarn, das er
gepachtet hatte, einen noch größeren Gemüsegarten anzupflanzen.
Das Mädchen ließ den Zwerg wieder
ziehen. Dabei hoffte es, dass sein Zwerg eine feste, reguläre Anstellung mit
allen Sozialleistungen finden würde, denn dies war in seinem Haus nicht möglich
geworden, auch wenn das Mädchen manchmal arg darunter gelitten hatte. Wenn dies
nicht der mächtige Mann fertig bringen konnte, wer dann sonst?
Der Zwerg musste bei dem Mann
schuften und schuften. Doch wie er sich auch abmühte, die Kinder wurden vor dem
anstehenden Weihnachtsfest wieder ernstlich krank. Sie merkten, dass ihr Vater,
der seine Waren nur auf dem Markt mit den hohen Gebühren anbieten konnte, da er
vor seiner Abreise ins Ausland das Gesetz zur Gebührenerhöhung selbst
mitgeplant hatte, es ebenfalls nicht schaffen würde, dass es an Weihnachten in
ihrer Villa heimelig warm wäre und alle ihre Geschenke bekämen.
Unterdessen war das Mädchen dabei,
die Arbeiten an der Baustelle voranzutreiben. Wo es nur konnte, packte es nun
selbst mit an und bewirtschaftete den Garten so gut es ging alleine. Es
pflanzte ein bisschen weniger an, hielt Maß beim Essen und wirtschaftete
sparsamer. Je näher das Weihnachtsfest rückte, um so mehr sorgte es sich
jedoch, nicht genügend auf dem Tisch für sich und seinen Mann zu haben.
Schließlich war es notwendig, dass es seinem Mann zu Hause gut ging, da er ja
als Psychologe auch den Villenkindern, wenn sie krank waren, half. Es wollte
daher den Zwerg erneut um seine Hilfe bitten und fand ihn bei den Villenkindern
und dem Villenmann.
Der Zwerg, der nicht vergessen hatte,
was er bei dem Mädchen alles gelernt hatte und wie es ihm geholfen hatte, als
er noch gar nichts konnte, noch nicht einmal die Sprache, kehrte zu ihm zurück.
An die harte Arbeit bei dem Villenmann längst gewöhnt, hatte er aber nicht
vergessen, wie gut es ihm bei dem Mädchen ergangen war. Immer hatte es eine
neue Idee entwickelt, wie beider Einkommen – wenn auch oft nur in kleinen
Schritten – verbessert werden konnte. Sie hatten beide durch Umsicht die
Erträge immer ein wenig steigern können. Für seine Rückkehr gab es keinen
anderen Grund außer seiner Dankbarkeit und den Gedanken an das bevorstehende
Weihnachtsfest, das auch für das Mädchen schön werden sollte.
Doch dann rief der mächtige Mann bei
dem Mädchen an und beschwerte sich erbost. Seine Arbeit ginge nicht mehr so
voran, wie er es wollte. Wie hatte dieses kleine dumme Ding es nur wagen
können, ihm s e i n e n Zwerg fortzunehmen! Schließlich war es doch ein Niemand
im Vergleich zu ihm. Es hatte keine Kinder und nur ein kleines bescheidenes
Haus, es kannte nicht die Copacabana und die großen Hürden, die im Leben zu
nehmen waren. Und es arbeitete nicht so viel wie er. Nein, das Mädchen stand
nicht bereits – wie er selbst – morgens um fünf Uhr auf, um sich auf seinem
Grundstück herumzuplagen. Wie konnte ein solches einfältiges Wesen nur wagen,
ihm auf die Füße zu treten!
Das Mädchen dachte sich, dass der
Mann doch selber schuld sei, wenn er sich so viel aufgehalst habe. Es wurde ihm
bewusst, das es für ihn nur eine kleine graue Maus war, die ihre Zeit zu Hause
verbrachte und niemals in ihrem Leben für irgendjemand je wichtig war außer
vielleicht für ihren Mann und die paar Leute, die sie mit Waren belieferte. Wie
auch das Mädchen mit dem Mann zu reden begann, er kam zu keiner Einsicht. Er
dachte nur an den Zwerg, den er wieder haben wollte.
Da fing das Mädchen bitterlich an, zu
weinen. Es war tief verletzt darüber, dass niemand ihre Arbeit über all die
langen Jahre gesehen hatte und sie niemand außer dem Zwerg wertschätzte. Und es
hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Und die Tränen begannen zu fließen und zu
fließen. Sie überschwemmten sein ganzes Wohnzimmer, sein ganzes Haus, seinen
ganzen Garten, dann die ganze Gegend.
Schließlich gelangte das Wasser auch
zu dem Mann, der in seiner Villa immer noch wild und gespenstig wegen des
Verlusts des Zwerges herumtobte. Seine Kinder waren wieder in die Praxis auf
dem Hügel zu dem Psychologen geflüchtet, weil sie es zu Hause nicht mehr
ausgehalten hatten. Dann wurde auch der Mann von dem Wasser verschluckt.
Der Psychologe bekam jedoch Mitleid
mit den Kindern und wollte allen helfen. Es war doch bald Weihnachten, das Fest
der Liebe und der gegenseitigen Anerkennung und des Respekts. Und er rief seine
Frau an und bat sie, mit dem Weinen aufzuhören.
Da dachte das Mädchen: “Wenn ich
jetzt wegen der Kinder aufhöre zu weinen, dann wird es für uns alle bestimmt
wieder ein so schönes Weihnachtsfest wie früher ... Damals, als es noch warm
bei uns war, als ich meinen kleinen Zwerg hatte, die Kinder gesund waren, und
der mächtige Mann mit seinen schönen Frauen an der heißen Copacabana weilte
...“ Und da hörte es auf zu weinen.
Eine Weile
herrschte vollkommene Stille. Die Kinder hatten das Märchen sehr aufmerksam
verfolgt. Dann zog die Ältere, eben die kleine Inge-Katharina, ihre Mutter zu
sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Mama, wenn du jetzt ein Teddybär in
meinen Armen wärst, ich würde dich nie wieder loslassen.“
Und dann wurde es
für Luciah und ihre kleine Familie endlich wieder Weihnachten.

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